Jetzt Termin vereinbaren
IT-Entwickler

BFSG in der Praxis: Für wen gilt das neue Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – und für wen nicht?

BFSG in der Praxis

BFSG in der Praxis: Für wen gilt das neue Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – und für wen nicht?

Ab dem 28. Juni 2025 tritt in Deutschland ein neues Gesetz in Kraft, das Unternehmen vor neue Herausforderungen stellt: das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Es ist die nationale Umsetzung der EU-Richtlinie (EU) 2019/882, besser bekannt als European Accessibility Act (EAA). Ziel ist es, digitale Produkte und Dienstleistungen barrierefrei für alle Menschen, insbesondere Menschen mit Behinderungen, zugänglich zu machen.

Doch für wen gilt das BFSG konkret? Welche Ausnahmen gibt es? Und welche Folgen drohen bei Nichteinhaltung? Dieser Beitrag gibt einen umfassenden Überblick.

Was ist das BFSG?

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) wurde 2021 im Bundesgesetzblatt (BGBl. I S. 2970) veröffentlicht und ist Teil der Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/882. Es verpflichtet bestimmte Wirtschaftsakteure dazu, ihre digitalen Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten.

Das betrifft insbesondere:

  • Websites und mobile Apps
  • E-Commerce-Plattformen
  • Bank- und Bezahlsysteme
  • E-Book-Reader und E-Books
  • Fahrkartenautomaten und andere Selbstbedienungsterminals

Rechtsgrundlage: BFSG im Bundesgesetzblatt

Ab wann ist das Gesetz verpflichtend?

Die volle Anwendungspflicht des BFSG gilt ab dem 28. Juni 2025 für alle betroffenen Produkte und Dienstleistungen, die ab diesem Stichtag auf dem Markt bereitgestellt oder angeboten werden (vgl. BFSG § 31).

Für bereits vor diesem Datum in Verkehr gebrachte Produkte gelten Übergangsregelungen bis 2030.

Für wen gilt das BFSG?

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) richtet sich gezielt an Wirtschaftsakteure, die digitale Produkte oder Dienstleistungen für Verbraucher bereitstellen. Die gesetzliche Pflicht zur Barrierefreiheit betrifft jedoch nicht alle Unternehmen gleichermaßen. Im Folgenden zeigen wir detailliert, wer konkret betroffen ist:

1. Unternehmen mit digitalen Produkten oder Dienstleistungen im B2C-Bereich

Das BFSG gilt für Unternehmen, die digitale Angebote direkt an Endverbraucher richten. Besonders betroffen sind Anbieter, deren digitale Schnittstellen öffentlich zugänglich sind oder direkt mit Konsumenten interagieren.

Typische Beispiele:

  • Online-Shops und E-Commerce-Plattformen mit Kunden-Login oder Warenkorb-Funktion
  • App-Entwickler, die mobile Anwendungen für den Endnutzer bereitstellen (z. B. Fitness-Apps, Service-Apps, E-Learning)
  • Banken und FinTechs mit Onlinebanking-Portalen oder Zahlungs-Apps
  • Verkehrsunternehmen, die digitale Fahrkartenautomaten oder Ticketing-Apps bereitstellen
  • E-Book-Anbieter, sowohl Plattformen als auch Anbieter von E-Readern mit Benutzeroberfläche

Diese Anbieter müssen sicherstellen, dass ihre Interfaces z. B. per Tastatur navigierbar sind, Inhalte durch Screenreader zugänglich sind und Farbkontraste sowie Schriftgrößen barrierefrei gestaltet wurden.

LESEN SIE AUCH DAS  PHP vs. Python vs. JavaScript: Welche Programmiersprache ist die beste für Ihr Webprojekt?

2. Dienstleistungserbringer, die ihre Leistungen elektronisch erbringen

Das Gesetz gilt ebenfalls für digitale Dienstleistungen, wenn sie über das Internet oder andere digitale Kanäle erbracht werden. Entscheidend ist, ob die Dienstleistung auf elektronischem Weg an Verbraucher gerichtet ist.

Beispiele für betroffene Dienstleister:

  • Telekommunikationsunternehmen, die digitale Kundenportale, App-Tarifverwaltung oder E-Rechnungen anbieten
  • Ticketing-Plattformen (z. B. Eventanbieter, Kinoportale, ÖPNV-Apps)
  • Zahlungssysteme und Wallet-Anbieter wie z. B. PayTechs, Mobile Payment Apps oder kontaktlose Checkout-Lösungen
  • Plattformbetreiber, bei denen Konsumenten digitale Inhalte konsumieren, buchen oder verwalten (z. B. Marktplätze, Vergleichsportale, Streamingdienste)

Auch diese Dienste müssen die technischen Anforderungen gemäß EN 301 549 und WCAG 2.1 AA einhalten.

3. Anbieter digitaler Systeme mit öffentlicher Nutzerschnittstelle

Viele Unternehmen betreiben digitale Selbstbedienungssysteme, die im öffentlichen Raum oder an öffentlich zugänglichen Orten genutzt werden. Auch diese fallen unter die BFSG-Pflicht, da sie eine direkte Interaktion mit dem Verbraucher ermöglichen.

Konkret betroffen sind u. a.:

  • Check-in-Terminals in Hotels, Flughäfen, Arztpraxen
  • Bankautomaten (Geldautomaten) mit digitaler Benutzeroberfläche
  • Selbstbedienungskassen & Verkaufsautomaten im Handel oder der Gastronomie
  • App-gesteuerte Services, z. B. Smart-Vending-Maschinen, Mietfahrradstationen, digitale Parkscheinautomaten

Diese Systeme müssen barrierefrei bedienbar sein – beispielsweise durch Sprachausgabe, kontrastreiche Displays oder barrierefreie Touchscreens.

4. Alle Unternehmen, die nicht als Kleinstunternehmen gelten

Eine zentrale Abgrenzung des BFSG erfolgt über die Unternehmensgröße. Von der gesetzlichen Pflicht ausgenommen sind laut §3 Abs. 3 BFSG sogenannte Kleinstunternehmen, d. h.:

  • weniger als 10 Vollzeitäquivalente Mitarbeitende und
  • ein Jahresumsatz von unter 2 Millionen Euro

Nur wenn beide Kriterien gleichzeitig erfüllt sind, entfällt die Pflicht zur Umsetzung barrierefreier digitaler Produkte und Dienstleistungen.

Wichtig: Sobald ein Unternehmen mehr als 9 Mitarbeitende beschäftigt oder der Umsatz über 2 Millionen Euro pro Jahr liegt, ist es verpflichtet, die BFSG-Anforderungen vollständig umzusetzen.

Für wen gilt das BFSG nicht?

Das Gesetz sieht eine klare Ausnahme für sogenannte Kleinstunternehmen vor:

Laut BFSG § 3 Absatz 3 sind Kleinstunternehmen von der Pflicht ausgenommen, sofern sie:

  • weniger als 10 Mitarbeiter haben und
  • weniger als 2 Millionen Euro Jahresumsatz erzielen.

Beide Bedingungen müssen gleichzeitig erfüllt sein. Sobald eines davon überschritten wird, ist das Unternehmen verpflichtet, barrierefreie Lösungen anzubieten.

Nicht betroffen sind außerdem:

  • B2B-Websites oder Portale, die sich ausschließlich an Unternehmen richten
  • Interne IT-Systeme (z. B. CRM, ERP)
  • Produkte oder Software, die nicht öffentlich angeboten werden

Welche Anforderungen gelten für betroffene Unternehmen?

Unternehmen, die unter das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) fallen, sind verpflichtet, ihre digitalen Produkte und Dienstleistungen gemäß den Anforderungen der Barrierefreiheit zu gestalten. Dabei geht es nicht nur um oberflächliches Design, sondern um eine ganzheitliche barrierefreie Nutzererfahrung, die alle wesentlichen Aspekte der digitalen Interaktion abdeckt.

LESEN SIE AUCH DAS  Wie viel kostet es, eine mobile App mit einer Berliner Entwicklungsagentur zu erstellen?

Die wichtigsten Anforderungen lassen sich in vier zentrale Bereiche einteilen:

1. Technische Richtlinien: EN 301 549

Die Norm EN 301 549 ist der zentrale technische Standard, auf den sich das BFSG stützt. Sie definiert konkrete Anforderungen an die Barrierefreiheit von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), darunter:

  • Webseiten und Web-Anwendungen
  • Mobile Apps
  • PDF-Downloads und elektronische Dokumente
  • Software-Interfaces (z. B. in E-Commerce-Systemen oder Online-Banking-Portalen)
  • Selbstbedienungsterminals (z. B. Fahrkartenautomaten, Check-in-Systeme)

Beispielhafte Anforderungen nach EN 301 549:

  • Anpassbare Schriftgrößen und Kontraste
  • Bedienung über Tastatur oder alternative Eingabemethoden
  • Audio-Inhalte mit Untertiteln oder Transkripten
  • Visuelle Fokusindikatoren für Navigation
  • Technische Schnittstellen für Screenreader und Assistenzsoftware

2. Einhaltung der WCAG 2.1 AA-Standards

Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) in Version 2.1, Level AA, gelten als international anerkannter Mindeststandard für barrierefreie Webinhalte. Die WCAG basiert auf vier Prinzipien:

POUR = Perceivable, Operable, Understandable, Robust

Konkret bedeutet das:

  • Wahrnehmbarkeit: Inhalte müssen für alle Nutzer erfassbar sein (z. B. Texte für Bilder, klare Farbkontraste, beschriftete Formulare).
  • Bedienbarkeit: Die gesamte Website muss vollständig ohne Maus nutzbar sein (Tastaturbedienung, logische Fokusführung).
  • Verständlichkeit: Inhalte und Navigation müssen klar strukturiert, verständlich und konsistent sein.
  • Robustheit: Die Website muss mit unterschiedlichen Browsern, Geräten und Hilfstechnologien kompatibel sein.

Typische Umsetzung:

  • <alt>-Texte für Bilder
  • ARIA-Rollen zur semantischen Unterstützung
  • Kontrastverhältnis von mindestens 4,5:1
  • Fehlererkennung und -erklärung in Formularen
  • Navigationsstruktur mit klaren Überschriften und Sprungmarken

3. Alternative Darstellungsformen & Inhalte

Damit Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen (z. B. Seh-, Hör-, motorische oder kognitive Beeinträchtigungen) digitale Inhalte gleichberechtigt nutzen können, sind alternative Formate und Hilfestellungen bereitzustellen.

Dazu gehören z. B.:

  • Screenreader-Kompatibilität (z. B. semantisch korrektes HTML, ARIA-Labels, keine „leeren“ Buttons oder Icons)
  • Tastaturnavigation ohne Maus (z. B. sichtbare Fokuselemente)
  • Untertitel oder Transkripte für Videos (auch bei erklärenden Inhalten)
  • Keine rein visuellen Hinweise (Farben sollten nicht die einzige Informationsträger sein)
  • Vorlesefunktionen oder Vorlesetext-Icons bei erklärungsbedürftigen Abschnitten

4. Struktur, Codequalität & Designprozess

Barrierefreiheit beginnt nicht erst beim Testing, sondern bereits in der Planung und Entwicklung:

  • Korrekte semantische HTML-Struktur (z. B. logische Hierarchie von <h1> bis <h6>)
  • Verzicht auf visuelle-only Navigation (z. B. Dropdown-Menüs mit Mausüberlagerung)
  • Klare Navigationsführung und Breadcrumbs
  • Formulare mit beschrifteten Feldern und verständlichen Fehlermeldungen
  • Responsive Design, das sich an verschiedene Geräte und Zoomstufen anpasst
LESEN SIE AUCH DAS  Vergleich: React vs Angular vs Vue – Welche Frontend-Technologie passt zu Ihrem Projekt?

Auch Backend-Komponenten (z. B. CMS-Plugins oder Formular-Engines) müssen barrierefrei ausgelegt oder entsprechend erweitert werden.

Für Entwickler, Designer & Projektleiter heißt das:

  • Bereits in der Konzeption auf Barrierefreiheit achten (z. B. mit User Journeys für Menschen mit Einschränkungen)
  • In der UI/UX-Designphase die WCAG-Prinzipien berücksichtigen
  • Technische Umsetzung in HTML/CSS/JS konform zu EN 301 549 gestalten
  • Vor dem Launch: manuelles und automatisiertes Accessibility-Testing mit Tools wie axe, Wave, Lighthouse oder JAWS
  • Dokumentation & Nachweisführung, um im Falle einer Prüfung durch Behörden oder Verbraucherschützer vorbereitet zu sein

Welche Strafen drohen bei Nichteinhaltung?

Das BFSG sieht bei Verstoß gegen die Barrierefreiheitsanforderungen empfindliche Sanktionen vor:

➜ Verwaltungsverfahren und Marktaufsicht:

Die Überwachung erfolgt durch die zuständigen Marktaufsichtsbehörden der Bundesländer.

➜ Abmahnungen und Klagen durch Verbände:

Verbraucherschutz- oder Behindertenorganisationen dürfen Verstöße rechtlich verfolgen.

➜ Bußgelder bis zu 100.000 Euro:

Gemäß BFSG § 32 kann bei schwerwiegenden oder wiederholten Verstößen ein Bußgeld bis zu 100.000 € verhängt werden.

Welche Vorteile bietet Barrierefreiheit über die Pflicht hinaus?

Auch wenn Sie (noch) nicht verpflichtet sind, lohnt sich barrierefreies Design:

  • Mehr Nutzer erreichen: Über 10 Mio. Menschen in Deutschland leben mit einer Einschränkung
  • SEO-Vorteile durch bessere Struktur, semantisches HTML, schnellere Ladezeiten
  • Weniger Support-Anfragen durch intuitive Bedienbarkeit
  • Besseres Markenimage und höhere Kundenbindung
  • Vorbereitung auf öffentliche Ausschreibungen, die Barrierefreiheit bereits voraussetzen

Fazit: Jetzt handeln und nicht warten

Das BFSG bringt für viele Unternehmen in Deutschland verpflichtende Barrierefreiheitsanforderungen ab dem 28. Juni 2025. Wer Websites, Apps oder digitale Dienste für Verbraucher anbietet, sollte sich jetzt vorbereiten – auch, um rechtzeitig zu planen, zu testen und umzusetzen.

Besonders betroffen sind:

  • E-Commerce-Plattformen
  • App-Entwickler
  • Zahlungsanbieter
  • Mobilitätsdienste
  • Digitale Ticketing-Systeme

Globeria Consulting GmbH unterstützt Sie bei der BFSG-Umsetzung

Als erfahrene IT-Agentur aus Berlin entwickeln wir BFSG- und DSGVO-konforme Web- und Softwarelösungen. Wir analysieren bestehende Systeme, führen Accessibility-Tests durch und entwickeln neue digitale Produkte gemäß EN 301 549 & WCAG 2.1 AA.

Kontaktieren Sie uns für eine Erstberatung:
📧 [email protected] 📞 +49 391 83223971 🌐 www.globeriaconsulting.de

Neueste Beiträge

Webentwicklungsagentur

Wie vel kostet eine Webentwicklungsagentur in Berlin 2025? – Preise & Leistungen im Überblick

Wie vel kostet eine Webentwicklungsagentur in Berlin 2025? – Preise & Leistungen im Überblick Die digitale Landschaft entwickelt sich rasant weiter, und
Agentur für individuelle Softwareentwicklung

Wie Sie eine Outsourcing-Agentur testen, bevor Sie den Vertrag unterschreiben

Wie Sie eine Outsourcing-Agentur testen, bevor Sie den Vertrag unterschreiben Outsourcing ist heute fester Bestandteil moderner IT-Strategien. Viele Unternehmen
Was kosten Entwickler in Deutschland

Was kostet ein eigener Entwickler wirklich im Vergleich zu einem ausgelagerten Team? (Fallstudie Deutschland–Indien)

Was kostet ein eigener Entwickler wirklich im Vergleich zu einem ausgelagerten Team? (Fallstudie Deutschland–Indien) Die Suche nach qualifizierten Entwicklern